ETH Life, Schweiz, 30.03.07

Viele Proteine sind in Komplexe involviert. Diese in Mengen herzustellen, die im Labor auch im Detail untersucht werden können, ist darum von grundlegendem biologischen Interesse. ETH-Forschern ist es nun gelungen, eine Methode zu entwickeln, welche die rekombinante Produktion ganzer Proteinkomplexe ermöglicht. Die Technik ist so weit fortgeschritten, dass sie bald in Syntheserobotern integriert werden kann.
“Nearly every major process in a cell is carried out by assemblies of 10 or more interlocking protein molecules”, schrieb Bruce Alberts 1998 im biologischen Standardlehrbuch “The Cell”. Das dokumentiert, dass die Bedeutung von Proteinkomplexen schon seit längerem bekannt ist. Trotzdem gibt es relativ wenige Beschreibungen der Struktur solcher Proteinmaschinen. Der Grund liegt darin, dass die Herstellung solcher Komplexe in grösserer Mengen äusserst aufwändig ist. Das könnte sich aber bald ändern. Denn ETH-Biologen um Imre Berger und Timothy Richmond vom Institut für Molekularbiologie und Biophysik ist es gelungen(1), eine Methode zu entwickeln, mit der man ganze Proteinkomplexe relativ rasch in grösseren Mengen herstellen kann. Diesen März erschien dazu ein Artikel in der Fachzeitschrift „Structure“ (2).

Bis 6000 Liter Zellflüssigkeit für eine Struktur

Die Forschung zu diesem methodischen Durchbruch geht aber weiter zurück. Bereits vor rund fünf Jahren sah Imre Berger seine Forschung bedroht, die sich mit der Struktur des humanen Proteinkomplexes TFIID befasste. Dieser ist involviert in die Umsetzung von DNA in RNA. Der Forscher zur Situation damals: „Bereits für die Strukturaufklärung der Polymerase II, eines vergleichsweise nicht seltenen Komplexes in der Zelle, brauchte man 6000 Liter Zellflüssigkeit. Das bedeutet jahrelange Erntearbeit.“ Da dieser Aufwand für ihn nicht realistisch war, kam Berger auf die Idee, seinen Komplex rekombinant herzustellen, also die Proteine gentechnisch in einem fremden Organismus zu produzieren. Sein Chef Timothy Richmond gab ihm, obwohl sie sich in einem Strukturlabor befanden, grünes Licht, diese methodische Forschung voranzutreiben.
Berger sondierte und stiess auf den Baculovirus als möglicher Produzent für Proteine höherer, eukaryotisch genannter Lebewesen. Der Virus kann Insektenzellen befallen und dort seine Gene in Proteine umsetzen. Zu Beginn dachte Berger, dass es vielleicht genügt, mehrere Viren mit je einem Gen für je ein Protein innerhalb eines gesamten Komplexes die Insektenzellen befallen zu lassen. Doch die auf dem Papier plausibel erscheinende Superinfektion funktionierte nicht richtig. „Im Fall von TFIID hätten wir 14 Untereinheiten, also 14 Gene und damit 14 Viren. Die 14 Viren müssten in einem ganz genauen Verhältnis zueinander austitriert sein, damit sich der Proteinkomplex bildet. Doch das ist praktisch kaum erreichbar“, erläutert der Forscher. Auch die Einzelproduktion von Proteinen, die zu Komplexen gehören, funktioniere häufig nicht, da sie oft alleine nicht löslich sind.
In dieser unbefriedigenden Situation sprach Imre Berger mit der Baculovirenspezialistin Polly Roy aus London. Diese gab ihm den Rat, einfach alle Gene für die Proteine eines Komplexes in einen massgeschneiderten Baculovirus zu integrieren. Und siehe da, das funktionierte. 2004 war bereits die Produktion mehrerer Proteine eines Komplexes in einem Virus möglich. Zugegebenermassen, so Berger, sei diese Version noch nicht sehr benutzerfreundlich gewesen. „Man brauchte dafür nicht immer ganz verlässlich arbeitende Schneide- und Verbindungsenzyme, im Fachjargon Restriktionsenzyme und Ligasen genannt.“ Doch die Methode war für die ETH-Forscher auch noch nicht fertig entwickelt. Innerhalb des Virusgenoms befand sich eine Protease, welche entstehende Proteine unspezifisch spaltete und somit unbrauchbar machte. Das entsprechende Gen entfernten die Wissenschaftler, wobei auch noch ein weiteres Gen eliminiert wurde. Das war ein Glücksfall, denn dadurch lebten die Wirtszellen länger und grössere Mengen an Proteinen konnten produziert werden.

Interesse aus aller Welt

Der internationalen Forschergemeinde entging der Erfolg der Zürcher Forscher nicht. Nach der Publikation in Nature Biotechnology (2004) kamen Einladungen zu Tagungen und Vorträgen im Wochentakt (4). Zahlreiche Forschergruppen wollten den massgeschneiderten Virus und die anderen Reagenzien des Zürcher Systems beziehen – die Adressaten stammten aus Harvard bis Nowosibirsk, darunter auch die Crème de la crème der Strukturbiologie. Zudem zeigten sich viele Labors mit gentherapeutischer Ausrichtung interessiert. Denn Baculoviren können auch menschliche Zellen befallen, wobei sie diese nicht zerstören. Das Problem war offensichtlich virulent und „Nature Methods“ lud darum die ETH-Wissenschaftler ein, ein detailliertes Protokoll für ihre Methode in diesem Fachjournal zu publizieren (5). Dieses erschien 2006 und enthielt selbstverständlich die neueste Version. Diese basierte nicht mehr auf Restriktionsenzymen und Ligasen, sondern geschickt arrangierten Rekombinationsprozessen. Damit war die Methode prinzipiell für die Automatisierung zugänglich.
Diese Entwicklung steht auch kurz bevor. Denn diesen März publizierten Imre Berger und seine Kollegen den zu Beginn erwähnten Artikel in „Structure“. „Für diesen haben wir unsere Methode noch so ‚gestreamlined’, dass sie prinzipiell in ein Roboterskript umgesetzt werden kann“, führt der Wissenschaftler aus. Diese Umsetzung soll in Zusammenarbeit mit dem Paul-Scherrer-Institut erfolgen. Als Strukturbiologe hofft Berger, dass er dann noch mehr und grössere Komplexe erhält. Dank seiner Methode hat er bereits einen Proteinmaschinenteil seines TFIID mit 10 Untereinheiten und einer Grösse von 700 Kilodalton herstellen können. Blickt Berger in die Zukunft, meint er: „Das Limit des Systems haben wir noch nicht erreicht. Möglicherweise kann man, falls auch gute Trennmethoden vorhanden sind, sogar mehrere Komplexe auf einmal mit einem Virus herstellen.“ Der Strukturbiologe scheint offensichtlich weiterhin immer noch Gefallen an methodischer Arbeit zu finden.
URL: http://www.ethlife.ethz.ch/articles/sciencelife/multibacberger.html